Das SWR-Hörspiel versteht sich auch als Ort für die Produktion von Medienkunst. In ihr sind Hörwerke eingebettet in das Bild nutzende Formate. Christoph Korn Arbeit steht in dieser Tradition, denn sein Radiostück ist zugleich Teil einer Installation im Internet, die den Film nutzt. Zu finden ist die Arbeit unter den Adressen www.swr2.de oder „www.hiobs-verstummen.de“. Für den SWR realisierte Korn verschiedene Medienkunstprojekte: Die Webinstallation www.Eingedenken.de thematisiert die Flucht von Walter Benjamin vor den Nazis und das Projekt „www.kairos-net.org“ handelt von Himmelslandschaften in Israel und Palästina. Für den Hessischen Rundfunk realisierte er zuvor „www.waldstueck.de“.
Ohne Kooperationspartner aus dem Bereich der bildenden Kunst, bei „Hiobs Verstummen“ die Kunststiftung NRW und der City Artists Award NRW, lässt sich das natürlich nicht umsetzen.
Korns Werke zeichnen sich durch einen in den künstlerischen Mitteln Minimalismus aus, der über die Reduzierung umso intensiver die Frage nach dem Ort des Humanen in einer aus den Fugen geratenen Welt stellt.
Diesen Weg beschreitet Korn auch in seiner neuen Arbeit „Hiobs Verstummen“. Im Zentrum steht das Buch Hiob, wie es im jüdischen Tanach und im Alten Testament überliefert ist. Neben seiner religionsgeschichtlichen Bedeutung gilt dieser Text – ähnlich wie das Hohe Lied Salomos aus dem Alten Testament – als ein bedeutendes literarisches Werk. Es erzählt, wie Gott die unerschütterliche Glaubensgewissheit von Hiob, dieses Gerechten aus dem Lande Uz, immer wieder durch schweres Leid prüft. Er straft ihn trotz oder besser wegen seines rechtschaffenen Lebens. Im Alten Testament wird Hiob am Ende von Gott für seine Unerschütterlichkeit und Treue zu ihm belohnt.
Korn nutzt hingegen die Hiob-Monologe, um über die Klagen die Gerechtigkeit eines Gottes in Frage zu stellen. Die Unfassbarkeit des Unrechts ist ein altes Argument, die Nicht-Existenz Gottes zu deduzieren und eine a-theistische Welt zu behaupten. Korn lässt seinen Hiob am Ende verstummen. Was könnte das bedeuten? Dieser Vorgang könnte zu der Interpretation führen, es gebe kein Belohnungssystem im Ertragen des Leids. Und wer will, kann darin sogar einen Aufruf erkennen, dass der Mensch um seine Rechte, sein Glück kämpfen muss, ihm nichts geschenkt wird.
Im Vergleich zum Originaltexte spricht die Rolle des Hiob mit Caroline Junghanns eine Frau. Der Vorgang des Verstummens wird über einen Prozess der „De-Syntaktisierung“ wie „De-Semantisierung“ des Monologtextes hörbar gemacht. Der Held Hiob behauptet bei Korn negativ, also im Scheitern der Klage seine Einzigartigkeit. Und diese Einzigartigkeit findet in einer musikalisch strukturierten lautpoetischen und somit jeglichen Sinns enthobenen Performance ihren Ausdruck.
Christoph Korn notierte über seine Arbeit: „„Hiobs Stummwerden konturiert in einer Gegenbewegung das Stummsein Gottes selbst angesichts des Unrechts. Diese neue Gottesvorstellung begegnet uns in zeitgenössischen religiösen Entwürfen wie etwa in Hans Jonas´ ‚Gottesbegriff nach Auschwitz‘.“
Auschwitz ist der Name und der reale Ort des Konzentrationslager, das auf ewig mit der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis verknüpft bleibt.
Als Web-Installation ist unter www.swr2.de und“www.hiobs-verstummen.de“ neben dem Hörstück ein 12minütiger, nur 93 Tage erfahrbarer Film zu sehen. Ab dem 19.11.21 zeigt er das Gesicht Hiobs (gespielt von Caroline Junghanns). In äußerster Intensität schreit es, als Loop strukturiert, wider Gott den Text.
Über 93 Tage hinweg wird dieser Film sukzessive gelöscht, indem, aleatorisch gesteuert, weiße und stumme Bildflächen wie Intarsien in ihn eingelegt werden. Hiobs Verstummen führt so am Ende zur bildnerischen Auflösung der Performance. Nach 93 Tagen ist alles weiß und still, stumm, nur die Dauer des Films als „white noise screen“ bleibt in der WEB-Installation erhalten – sowie, auf einer anderen Ebene, das Hörstück als bilderloses Audiofile, der im Radio als flüchtigem Medium einen adäquaten Ausdruck findet. Den Widerspruch zu einem auf ewige Präsens des „Immer-das-Selbe“, immer „Mit-Sich-Identischen“ angelegten Internetlebens gilt es im Kunstwerk auszuhalten.
Christoph Korn neuste Multimedia-Arbeit zeichnet sich erneut durch eine Offenheit in seiner Gestalt und auf den Bedeutungsebenen aus, die nur „wahren“ Kunstwerken eigen ist.
(Manfred Hess, Chefdramaturg SWR Hörspiel)
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